KI öffnet ein neues Fenster zur verborgenen Welt der Kernmaterie – Identifikation von Hyperkern mit GSI/FAIR-Beteiligung

18.12.2025

Forschende des Labors für Hochenergie-Kernphysik am Pioneering Research Institute (PRI) des japanischen Forschungszentrums RIKEN haben gemeinsam mit ihren internationalen Kooperationspartnern, darunter auch GSI/FAIR in Darmstadt, eine bahnbrechende Entdeckung gemacht, die eine Brücke zwischen künstlicher Intelligenz und Kernphysik schlägt. Durch die Anwendung von Deep-Learning-Techniken identifizierte das Team zum ersten Mal seit 25 Jahren einen neuen Doppel-Lambda-Hyperkern. Dies ist die weltweit erste KI-gestützte Beobachtung eines solchen exotischen Kerns – eines Atomkerns, der zwei Strange-Quarks enthält. Die im Fachjournal Nature Communications veröffentlichte Entdeckung stellt einen bedeutenden Fortschritt in der experimentellen Kernphysik dar und liefert neue Erkenntnisse über die Zusammensetzung von Neutronensternen, einer der extremsten Umgebungen im Universum.

Materie besteht aus Atomen, deren Kerne wiederum aus Protonen und Neutronen aufgebaut sind. Diese als Hadronen bezeichneten Teilchen bestehen aus noch grundlegenderen Bausteinen, den Quarks. Die starke Kernkraft bindet Hadronen zusammen und hält ein empfindliches Gleichgewicht aufrecht, das sie sowohl zusammenpresst als auch weit genug voneinander entfernt hält, um einen Zusammenfall zu verhindern. Das Verständnis des Ursprungs dieser Kraft ist grundlegend für die Erklärung, wie Materie und das Universum ursprünglich entstanden sind.

Um diese Kraft genauer zu untersuchen, studieren Wissenschaftler*innen sogenannte Hyperkerne – Atomkerne, die Strange-Quarks enthalten. Kernbausteine, die ein Strange-Quark beinhalten, werden auch Lambda-Teilchen genannt. In äußerst seltenen Fällen können sogar zwei Strange-Quarks innerhalb desselben Kerns gebunden sein und einen sogenannten Doppel-Lambda-Hyperkern bilden. Diese Systeme ermöglichen es Forschenden, die Wechselwirkung zwischen den beiden Lambda-Teilchen direkt zu messen und zu untersuchen, wie sich die Kernkraft unter Beteiligung von Strange-Quarks verhält. Dieses Wissen ist auch wichtig, um die Eigenschaften von extrem dichter Materie zu verstehen – wie etwa in Neutronensternen, wo Lambda-Teilchen vermutlich existieren.

Der Nachweis von Doppel-Lambda-Hyperkernen war lange Zeit eine große Herausforderung, da sie nur sehr selten entstehen und komplexe Zerfallsstrukturen aufweisen. Im J-PARC-E07-Experiment wurden die Teilchenspuren aus der Bildung und dem Zerfall von Hyperkernen mit Hilfe von Kernemulsionsplatten aufgezeichnet. Allerdings wurde nur ein sehr kleiner Teil der Emulsionsdaten analysiert, da herkömmliche Methoden sehr zeit- und arbeitsaufwendig sind. Infolgedessen blieb eine große Menge wertvoller Informationen unerschlossen.

Das von RIKEN geleitete Team entwickelte ein auf Deep Learning basierendes Analyse-Framework, um diesen riesigen Datensatz zu verarbeiten. Durch das Training neuronaler Netze zur Erkennung der subtilen Signaturen von Doppel-Lambda-Ereignissen konnten die Forschenden automatisch Kandidatenbilder extrahieren, die auf die Anwesenheit von Doppel-Lambda-Hyperkernen hinweisen. Diese Bilder wurden unter dem Mikroskop untersucht. Ein Ereignis konnte durch eine detaillierte kinematische Analyse als die Produktion eines Doppel-Lambda-Hyperkerns aus Bor-13 (13ΛΛB) bestätigt werden, in dem zwei Lambda-Teilchen an einen Bor-11-Kern gebunden sind. Diese Identifizierung ist erst die zweite eindeutige Beobachtung eines Doppel-Lambda-Hyperkerns in der Geschichte und die erste solche Entdeckung seit fast 25 Jahren. Darüber hinaus ist es das erste Mal, dass die Wechselwirkung zwischen zwei Lambda-Teilchen in einem anderen Kern als Helium gemessen wurde.

Dieser Durchbruch wurde durch die Analyse von nur 0,2 Prozent der gesamten Emulsionsdaten aus dem Experiment erzielt. Basierend auf dieser Detektionsrate schätzen die Forschenden, dass der vollständige Datensatz mehr als 2.000 Doppel-Lambda-Ereignisse enthalten könnte, die auf Entdeckung warten. Das Team plant daher, seine auf Deep Learning basierenden Analysemethoden weiter zu verfeinern und seine Suche auf weitere Hyperkerne auszuweiten.

Professor Takehiko Saito, Leiter der Forschungsgruppe zur Untersuchung von Hyperkernen bei GSI/FAIR und leitender Wissenschaftler des Labors für Hochenergie-Kernphysik bei RIKEN-PRI, erläutert: „Diese Errungenschaft zeigt, wie künstliche Intelligenz extrem seltene Phänomene aufdecken kann, die in riesigen experimentellen Datensätzen verborgen sind, und Ereignisse offenbart, die durch menschliche Überprüfung allein kaum zu finden wären. Wir sind überzeugt, dass dieser Ansatz die Tür zu groß angelegten Entdeckungen von Doppel-Lambda-Hyperkernen öffnen und unser Verständnis der Kernkraft und der Struktur der Materie im Universum vertiefen wird.“

Im Rahmen der Experimente am Fragmentseparator FRS kooperiert GSI/FAIR bereits langjährig mit den internationalen Partnern auf dem Forschungsgebiet der Hyperkerne. Am neuen Teilchenbeschleuniger FAIR (Facility for Antiproton and Ion Research), der aktuell bei GSI in Darmstadt errichtet wird, sind weitere Hyperkern-Experimente geplant, für deren Umsetzung die aktuellen Ergebnisse wichtige Grundlagen bereitstellen. (CP)

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