Überwindung der Raumladungsgrenze – Simulationen bei GSI/FAIR zeigen neuartige Technik zur Erhöhung der Intensitäten für Ionenstrahlen in Synchrotrons auf

05.05.2024

Eine neue umfassende Simulationsstudie von GSI/FAIR-Forschenden zeigt das Potenzial von gepulsten Elektronenlinsen, die höchste erreichbare Intensität von Ionenstrahlen in den Ringbeschleunigern deutlich zu erhöhen. Diese neuartige Technik zur Kompensation von Raumladungen wird bei GSI/FAIR entwickelt, wo auch ein Prototyp in Vorbereitung ist. Die in Physical Review Letters veröffentlichte Studie ebnet den Weg zur Überwindung der so genannten Raumladungsgrenze in Ionensynchrotrons.

„Stellen Sie sich vor, eine kleine Anzahl von drei Meter langen Geräten könnte einen ein Kilometer langen Teilchenbeschleunigerring wie beispielsweise den FAIR-Beschleuniger SIS100 in die Lage versetzen, 50 Prozent intensivere Schwerionenstrahlen zu liefern. Klingt verlockend?“, fragt Dr. Adrian Oeftiger aus der GSI/FAIR-Abteilung Beschleunigerphysik, der Erstautor der Veröffentlichung ist. Intensität bezeichnet die Anzahl Teilchen in einem Strahl, die im Synchrotron beschleunigt werden können, um dann für die Experimente mit einer Materialprobe zu kollidieren. Mehr Teilchen bedeuten mehr Kollisionen und in Folge mehr wissenschaftliche Daten und mehr Erkenntnisse.

Um das Forschungspotenzial der Anlagen von GSI und FAIR voll auszuschöpfen, sollen sie Ionenstrahlen von weltweit einzigartiger Intensität erzeugen. Die maximale Anzahl von Ionen pro beschleunigtem Ionenpaket wird dabei durch die von den Ionen erzeugten elektromagnetischen Felder begrenzt, die als „Raumladung“ bezeichnet werden. Die Raumladung wirkt der Fokussierung durch die Magnete entgegen, die den Strahl in den Vakuumrohren einschließt. An der Raumladungsgrenze wird eine maximale Ionenintensität erreicht, bevor es zu Strahlverlusten durch schädliche Resonanzen kommt. Um Strahlen höchster Intensität für die GSI/FAIR-Experimente und an anderen Beschleunigeranlagen zu erzeugen, entwickeln Beschleunigerphysiker*innen Strategien, um die Auswirkungen von Raumladung zu mildern.

Ein neuer und vielversprechender Weg wurde mit der Entwicklung von gepulsten linearen Elektronenlinsen bei GSI/FAIR beschritten. Diese Geräte erzeugen einen intensiven Elektronenpuls von mehreren hundert Kilowatt und lenken ihn so, dass sich die Elektronen mit den im Beschleunigerring zirkulierenden Ionenpaketen überlappen. Da Elektronen im Gegensatz zu den positiv geladenen Ionen negativ geladen sind, können ihre elektromagnetischen Felder so angeordnet werden, dass sie sich gegenseitig kompensieren, um die Raumladung der Ionen zu reduzieren. Dementsprechend wirken sich Strahlverluste durch schädliche Resonanzen erst bei sehr viel höherer Intensität aus. Als Schlüssel zum Erfolg erweist sich die Anpassung der Elektronenpulse auf die Pulslänge der vorbeiziehenden Schwerionenpakete bei gleichzeitiger Vermeidung zusätzlicher Resonanzen durch das lokalisierte Raumladungsfeld des Elektronenstrahls.

„Unsere jetzt veröffentlichte Studie zeigt, dass man mit nur wenigen solcher symmetrisch angeordneten Elektronenlinsen die Raumladungsgrenze der Beschleunigerringe stark erhöhen kann. Mit anderen Worten: Die Aufrüstung der GSI/FAIR-Beschleuniger mit gepulsten linearen Elektronenlinsen könnte die Experimente mit Ionenstrahlen versorgen, die im Vergleich zum Basisszenario eine bis zu 50 Prozent höhere Strahlintensität aufweisen“, erläutert Oeftiger.

Zwei Schlüsselfaktoren machten die jetzt veröffentlichte umfassende Simulationsstudie zu gepulsten Elektronenlinsen möglich: Zum einen muss das Resonanzverhalten des Ionenstrahls genau simuliert werden, um die Raumladungsgrenze zu bestimmen. Dazu sind detaillierte Messungen und Kenntnisse der Parameter der Beschleunigermagnete unter Betriebsbedingungen nötig, wie sie beispielsweise für den FAIR-Beschleuniger SIS100 als einzigem Synchrotron weltweit für jeden Hauptmagneten vorliegen. Zum anderen müssen solche Simulationen sowohl schnell als auch sehr genau sein, was durch ein entsprechend entwickeltes Hochleistungs-Simulationsmodell unter Verwendung der Rechenkapazitäten des GSI/FAIR-Rechenzentrums Green IT Cube realisiert werden konnte.

Oeftiger zeigt sich zuversichtlich: „Alles in allem kommen wir zu dem Schluss, dass gepulste Elektronenlinsen eine neue und vielversprechende Option zur Aufrüstung der GSI/FAIR-Beschleuniger darstellen, um zukünftig Experimente mit noch höheren Strahlintensitäten durchführen zu können.“ (CP)

Weitere Informationen


Loading...