ALICE misst abweichende Charm-Hadronisierung

01.07.2021

Diese Meldung basiert auf einer Nachricht des Europäischen Forschungsorganisation CERN

Neue Messungen der ALICE-Kollaboration zeigen, dass sich die Art und Weise, wie Charm-Quarks in Proton-Proton-Kollisionen Hadronen bilden, deutlich von den Erwartungen unterscheidet, die auf Messungen an Elektronenbeschleunigern basieren. Die ALICE-Forschungsabteilung bei GSI war maßgeblich an der Messung und Auswertung der Ergebnisse beteiligt.

Quarks gehören zu den Elementarteilchen des Standardmodells der Teilchenphysik. Neben Up- und Down-Quarks, die die Grundbausteine der gewöhnlichen Materie im Universum sind, existieren vier weitere Quark-Varianten, die in Kollisionen an Teilchenbeschleunigern wie dem Large Hadron Collider LHC des CERN ebenfalls reichlich produziert werden. Quarks werden aufgrund eines fundamentalen Aspekts der starken Wechselwirkung, dem sogenannten Farbladungseinschluss, nicht isoliert beobachtet. Der Einschluss bedingt, dass Teilchen, die die Ladung der starken Wechselwirkung, genannt Farbe, tragen, farbneutrale Zustände bilden. Dies wiederum zwingt Quarks dazu, einen Prozess der Hadronisierung zu durchlaufen, d. h. Hadronen zu bilden, die zusammengesetzte Teilchen sind, die meist aus einem Quark und einem Antiquark (Mesonen) oder aus drei Quarks (Baryonen) bestehen. Die einzige Ausnahme ist das schwerste Quark, das Top, das zerfällt, bevor es Zeit hat, zu einem Hadron zu werden.

An Teilchenbeschleunigern entstehen Quarks mit großer Masse, wie z. B. das Charm-Quark, nur bei den ersten Wechselwirkungen zwischen den kollidierenden Teilchen. Je nach Art des verwendeten Strahls sind dies Elektron-Positron-, Elektron-Proton- oder Proton-Proton-Kollisionen (wie am LHC). Die anschließende Hadronisierung von Charm-Quarks zu Mesonen (D0, D+, Ds) oder Baryonen (Λc, Ξc, ...) findet auf einer langen Raum-Zeit-Skala statt und wurde bis zu den jüngsten Erkenntnissen der ALICE-Kollaboration als universell ­ – also unabhängig von der Spezies der kollidierenden Teilchen –  angesehen.

Die großen Datenmengen, die während der zweiten Messperiode am LHC gesammelt wurden, ermöglichten es ALICE, die überwiegende Mehrheit der in den Proton-Proton-Kollisionen erzeugten Charm-Quarks zu erfassen, indem die Zerfälle aller Arten von Charm-Mesonen und der häufigsten Charm-Baryonen (Λc und Ξc) rekonstruiert wurden. Es wurde festgestellt, dass die Charm-Quarks zu 40 % Baryonen bilden. Das ist viermal so oft als aufgrund von Messungen erwartet, die zuvor an Collidern mit Elektronenstrahlen gemacht wurden (e+e- und ep in der Abbildung).

„Unsere lokale ALICE-Gruppe bei GSI hat unter Koordination von Dr. Andrea Dubla viele dieser Resultate produziert und publiziert. Dabei kam auch eine Auswertungssoftware zur Rekonstruktion der Zerfälle zum Einsatz, die für das FAIR-Experiment zur Untersuchung komprimierter Kernmaterie CBM entwickelt wurde und nun von CBM und ALICE gemeinsam genutzt wird“, erläutert Professorin Silvia Masciocchi, Leiterin der ALICE-Abteilung bei GSI. „Die Untersuchung schwerer Quarks gehört zu den Schwerpunkten unserer ALICE-Forschung bei GSI, und wir freuen uns sehr, dass unsere langjährigen Bemühungen nun zu solch eindrucksvollen Resultaten beigetragen haben. Wir profitieren auch sehr vom HGF-GSI-OCPC Programm, das uns ermöglicht, exzellente junge Wissenschaftler von chinesischen Universitäten für unsere Forschung zu gewinnen. Dies eröffnet spannende Perspektiven für die Zukunft.“

Die Messungen zeigen, dass der Prozess des Farbladungseinschlusses und der Hadronenbildung immer noch ein unzureichend verstandener Aspekt der starken Wechselwirkung ist. Aktuelle theoretische Erklärungen für die Baryonenanreicherung beinhalten die Kombination von mehreren Quarks, die in Proton-Proton-Kollisionen erzeugt werden, und neue Mechanismen bei der Neutralisierung der Farbladung. Zusätzliche Messungen während der nächsten Messperiode am LHC werden es ermöglichen, diese Theorien zu überprüfen und unser Wissen über die starke Wechselwirkung zu erweitern. (CERN/CP)

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