Gefragte Expertise: Substanzielle GSI/FAIR-Beteiligung an internationalem Grundlagenartikel zum Ursprung der schwersten Elemente
03.02.2021 |
Wo und wie produziert die Natur Edelmetalle wie Gold und Platin? Das ist eine der spannendsten Fragen der Physik. Astrophysikalische Beobachtungen konnten erst vor wenigen Jahren den Schleier über diesem Rätsel lüften. Die weltweite Beachtung war enorm, das Interesse für das Thema ist seither stark gewachsen. Eine Gruppe hochkarätiger Expert*innen hat nun den aktuellen Erkenntnisstand evaluiert, zusammengefasst und im renommierten Wissenschaftsjournal „Reviews of Modern Physics“ einen Übersichtsartikel vorgelegt. Mehr als die Hälfte der Autor*innen sind Forschende von GSI/FAIR oder haben enge Verbindungen hierher.
Der Ort der Entstehung der schweren und schwersten Elemente, zu denen auch Gold und Platin gehören, beschäftigt schon lange die Fachwelt. Der National Research Council der USA hatte diese Frage als eine der elf größten ungelösten Probleme der Physik im 21. Jahrhundert gelistet. Ein Durchbruch gelang schließlich im August 2017, als ein bislang nie beobachtetes astrophysikalisches Phänomen sowohl durch Gravitationswellen wie durch einen Lichtausbruch (bekannt als Kilonova) nachgewiesen werden konnte. Die Analyse der Gravitationswellen zeigte, dass das beobachtete Ereignis als Verschmelzung zweier Neutronensterne identifiziert werden konnte, während die Lichtkurve Evidenz für die Herstellung schwerer Elemente im sogenannten astrophysikalischen r-Prozess gab.
Der r-Prozess, eine Sequenz von Neutroneneinfangreaktionen und Betazerfällen an extrem neutronenreichen Kernen, war schon lange als Ursprung der schweren Elemente postuliert worden, aber nun kennt man endlich einen Ort, an dem dies im Universum geschieht. Die Identifikation von Neutronensternverschmelzungen als ein astrophysikalischer Ort des r-Prozesses hat somit die Tür zu einem neuen, faszinierenden wissenschaftlichen Forschungsfeld geöffnet, das global große Aufmerksamkeit erfährt. Nicht zuletzt deshalb hat die angesehene, wissenschaftliche Zeitschrift „Reviews of Modern Physics“, die von der American Physical Society herausgegeben wird, eine Gruppe von Expert*innen eingeladen, den aktuellsten Kenntnisstand zur Entstehung der schweren Elemente ausführlich zusammenzufassen und zu evaluieren. Unter den acht Autor*innen befinden sich drei Forschende, die bei GSI tätig sind, und zwei weitere, die eng mit GSI/FAIR verbunden sind.
„Es war natürlich eine große Ehre, für Reviews of Modern Physics eine Übersicht über dieses sich schnell entwickelnde Forschungsgebiet zu erstellen. Vor allem war es eine Herausforderung, das weitgefächerte Spektrum von der astrophysikalischen Beobachtung über kern- und atomphysikalische Labormessungen bis hin zu Simulationen solcher Ereignisse ausgewogen darzustellen. Ich bin froh, dass mir kompetente Kollegen aus den einzelnen Fachgebieten mit ihrer Expertise zur Seite standen“, sagt Professor Friedrich-Karl Thielemann, der seit seiner Emeritierung von der Universität Basel auch bei GSI forscht und der nicht zuletzt für seine bahnbrechenden Arbeiten zum r-Prozess jüngst mit der Karl-Schwarzschild-Medaille der Deutschen Astronomischen Gesellschaft ausgezeichnet wurde.
Thielemann betont aber auch, dass es noch viele ungelöste Fragen zum r-Prozess gibt, die der Review ebenfalls anspricht. Dies betrifft insbesondere die Kernprozesse, die bei der Verschmelzung von Neutronensternen sowie in der r-Prozess-Nukleosynthese von essentieller Bedeutung sind. Spannende Erkenntnisse sind hier zu erwarten, wenn neue Beschleunigergroßforschungsanlagen ihren Betrieb aufgenommen haben. An FAIR, der Facility for Antiproton and Ion Research, die derzeit bei GSI als internationales Beschleunigerprojekt entsteht, kann Materie in ultrarelativistischen Schwerionenstößen zu extremen Dichten und Temperaturen komprimiert und unter Bedingungen untersucht werden, wie sie in Neutronensternverschmelzungen kurz vor dem Übergang zum Schwarzen Loch existieren.
„Wir werden an FAIR auch erstmals viele der exotischen Kerne herstellen und ihre Eigenschaften an den dort zur Verfügung stehenden Speicherringen und Detektoren vermessen“, freut sich Mitautor Gabriel Martinez-Pinedo, Leiter der GSI Theorieabteilung und Professor an der TU Darmstadt. Professor Martinez-Pinedo hatte mit Brian Metzger von der Columbia University das Team geleitet, das das Kilonova-Signal als Fingerzeichen des r-Prozesses bereits einige Jahre vor der Beobachtung vorhergesagt hat.
Bislang mussten die Eigenschaften der im r-Prozess wichtigen, kurzlebigen Kerne theoretisch modelliert werden, was immer mit einer gewissen Unsicherheit verbunden ist. Dass sich dies in Zukunft ändert, daran arbeitet auch ein weiterer Ko-Autor, Professor Michael Wiescher von der Notre Dame University, der durch einen renommierten Humboldt-Forschungspreis mit GSI verbunden ist. Zusammen mit weiteren Forschenden, vor allem von Goethe Universität Frankfurt und GSI, entwickelt Wiescher Pläne, um mit den einzigartigen Speicherringen an FAIR wichtige experimentelle Daten für den r-Prozess zu gewinnen. „Ich finde die Idee meines Frankfurter Kollegen Professor René Reifarth faszinierend, dass es mit den FAIR-Ringen möglich wird, Neutroneneinfänge an kurzlebigen Kernen zu messen“, weist Wiescher auf einen lang gehegten Traum der Kern-Astrophysik hin, der an FAIR wahr werden könnte. Die FAIR-Speicherringe versprechen auch einen erstmaligen Zugang zur Messung atomphysikalischer Daten von Ionen schwerer Elemente, wie sie zur Modellierung der Kilonova-Leuchtkurve benötigt werden.
Der Übersichtsartikel erscheint in den „Reviews of Modern Physics“ im neuen Band 93 (1. Februar 2021). Wegen der Aktualität und Komplexität des Themas haben die Editoren ein deutliches Überschreiten des Seitenlimits ermöglicht. Der Text fasst auf 85 Seiten zusammen, was man zurzeit über die Entstehung der schweren Elemente durch den astrophysikalischen r-Prozess weiß. Er zeigt aber auch auf, welche Fragen noch ungelöst sind und welche Fortschritte durch verbesserte astronomische Beobachtungen, durch Computersimulationen und vor allem durch die einzigartigen Möglichkeiten, die die nächste Generation von Beschleunigergroßanlagen in Europa, Amerika und Asien eröffnen, zu erwarten sind.
Die beteiligten Wissenschaftler*innen blicken in die Zukunft: „Wenn in ein bis zwei Jahrzehnten wieder ein Übersichtsartikel über den r-Prozess in den Reviews of Modern Physics erscheint, wird dieser wahrscheinlich auf der Basis der jetzt beschriebenen Grundkenntnisse viele der heute noch offenen Fragen beantworten. Aber sicherlich wird auch er, wie es für die Wissenschaft typisch und fruchtbar ist, wiederum neue offene Fragen identifizieren.“ (BP)
Weitere Informationen
Wissenschaftliche Veröffentlichung im Journal „Reviews of Modern Physics“ (auf Englisch)