Forschung in der Corona-Krise – Erfolgreiches Experimentierprogramm der FAIR-Phase 0

03.11.2020

Sehr erfolgreiche Experimente, hochwertige Ionenstrahlen für die Forschung – die aktuelle Experimentierzeit auf dem GSI- und FAIR-Campus ist trotz der Corona-Pandemie mit einer positiven Bilanz zu Ende gegangen. An den bestehenden Beschleunigeranlagen konnten Forscherinnen und Forscher mit vielfältigsten Ionenstrahlen Experimente zu den unterschiedlichsten Themen durchführen, und so wurde der Weg für neue Entdeckungen und exzellente Forschungsmöglichkeiten in der Zukunft eröffnet. Denn der Wissenschaftsbetrieb an den modernisierten Beschleunigern ist Teil des FAIR-Experimentierprogramms, der sogenannten „FAIR-Phase 0“, die bereits hervorragende Experimentiermöglichkeiten bietet, während FAIR noch im Bau ist.

Zwar musste das Experimentierprogramm ab März 2020 aufgrund der Corona-Pandemie eingeschränkt werden, es konnte aber unter strenger Einhaltung der behördlichen Vorgaben in Teilen weiterlaufen. Rund zwei Drittel der Experimente konnten durchgeführt werden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt, die üblicherweise für Experimente auf den Campus kommen, konnten ab diesem Zeitpunkt nicht mehr anreisen. Sie unterstützten das Forschungsprogramm und das GSI/FAIR-Personal vor Ort aber mit Rat und Tat aus der Ferne.

Neben den GSI-Anlagen UNILAC (Linearbeschleuniger), SIS18 (Ringbeschleuniger), FRS (Fragmentseparator) und ESR (Experimentierspeicherring) sowie den bestehenden Experimentaufbauten und dem Petawatt-Hochenergielaser PHELIX konnten auch schon FAIR-Entwicklungen und speziell für FAIR gefertigte Detektoren, Messapparaturen und weitere Hightech-Einrichtungen genutzt werden. So ist auch die Inbetriebnahme des CRYRING, eines weiteren Speicherrings und ersten FAIR-Beschleunigers, soweit fortgeschritten, dass er bereit für wissenschaftliche Experimente ist. Damit ist das aktuelle Experimentierprogramm FAIR-Phase 0 bereits ein wichtiger Schritt in Richtung der zukünftigen Forschung an FAIR.

Die Experimente beschäftigten sich mit Themen aus den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen, von der Medizin und Materialforschung bis hin zu den Eigenschaften von superschweren Elementen und der komplexen Struktur von kurzlebigen Isotopen, die bei der Elemententstehung im Universum eine Rolle spielen.

So konnte in einem Experiment der Biophysik erstmalig gezeigt werden, dass es bei GSI möglich ist, mit Kohlenstoffstrahlen Bedingungen zu erzeugen, wie sie für eine sogenannte FLASH-Therapie von Tumoren notwendig sind. Bei der FLASH-Therapie wird eine sehr hohe Dosis in sehr kurzer Zeit appliziert (hohe Dosisrate). In Studien mit Protonenstrahlen konnte gezeigt werden, dass durch ein solches Verfahren bei gleichbleibender Wirksamkeit die Schäden im gesunden Gewebe reduziert werden. Bisher war die Technik nur an Elektronen- und Protonenbeschleunigern anwendbar. Aufgrund von Verbesserungen an der GSI-Beschleunigeranlage im Rahmen der Vorbereitungen für FAIR kann nun auch für Kohlenstoff die nötige Dosisrate von fünf Milliarden Ionen in 200 Millisekunden erreicht werden.

Ein anderes Forschungsgebiet, das von den erhöhten Intensitäten der GSI-Beschleuniger profitiert, ist die Untersuchung von Isotopen, die bei der Elemententstehung im Universum eine Rolle spielen. Leichte Kerne bis Eisen werden durch Fusionsreaktionen in Sternen produziert, schwere Elemente möglicherweise in Explosionen massiver Sterne am Ende ihrer Entwicklung (Supernova-Explosionen) oder beim Zusammenstoß von Neutronensternen, äußerst kompakten Objekten, die auf einem Radius von wenigen Kilometern die Masse von bis zu zwei Sonnen vereinen. Die eigentliche Elementsynthese erfolgt durch nukleare Reaktionen von einer Vielzahl von zumeist instabilen Kernen entlang bestimmter Reaktionspfade. In einem dedizierten Experiment wurden extrem neutronenreiche Kerne untersucht, die bislang in einem Beschleunigerlabor noch nicht produziert werden konnten. Isotope mit Massenzahlen um 200 nahe der magischen Neutronenzahl N=126 spielen eine entscheidende Rolle für die Entstehung von noch schwereren Kernen. Es wurden mehrere Isotope in diesem Bereich erstmalig nachgewiesen und ihre Eigenschaften bestimmt, unter ihnen möglicherweise 200-Wolfram. Dies wäre das erste Mal, dass ein so schwerer Kern im Labor produziert wurde, der unmittelbar auf einem der Elementsynthesepfade liegt.

Ein weiteres Experiment mit einer ähnlichen Zielsetzung wurde am Experimentierspeicherring ESR unter Nutzung der gesamten Beschleunigerkette von UNILAC, SIS18 und FRS durchgeführt. In vielen wissenschaftlichen Publikationen wurde die Wichtigkeit des gebundenen Betazerfalls von Thallium in Elemententstehungsprozessen betont und dieser konnte nun erstmals vermessen werden.

Die Erforschung superschwerer Elemente gehört schon seit vielen Jahren zum wissenschaftlichen Portfolio der GSI. In der Kernreaktion von 48Ca+244Pu (Kalzium und Plutonium) werden unter anderem zwei Flerovium-Isotope hergestellt: 288Fl und 289Fl. Flerovium ist ein Atomkern mit der Ordnungszahl Z=114 und wurde 1999 in einem Forschungslabor in Dubna erstmalig erzeugt. Die kernphysikalische Struktur ist allerdings noch nicht völlig geklärt; deshalb wurde am TASCA-Aufbau bei GSI erstmalig Alpha- und Photonen-Emission von Flerovium-Isotopen in Koinzidenz vermessen. In diesem Experiment wurden ebenso viele Flerovium Isotope nachgewiesen wie in allen Experimenten seit dem erstmaligen Nachweis dieses Kerns.

Während in Sternen, Sternexplosionen und im Labor durch Kernreaktionen schwere Kerne erzeugt werden, entstehen durch kosmische Strahlung auf Staubpartikeln aus einfachen organischen Molekülen komplexere, und diese werden ebenso wieder zerstört. In einem Experiment der Materialforschung konnte gezeigt werden, dass diese Zerstörungsprozesse temperaturabhängig sein können und höhere Temperaturen möglicherweise zu einer längeren Lebensdauer von komplexen Molekülen unter dem Einfluss kosmischer Strahlung führen.

Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt der wissenschaftlichen Erkenntnisse der vergangenen Experimentierzeit. Insgesamt ermöglicht das Programm „FAIR-Phase 0“ eine zukunftsweisende Kombination wichtiger Tests von FAIR-Geräteausstattungen einerseits und hochwertiger wissenschaftlicher Messungen andererseits. Auf diese Weise können wissenschaftlich hervorragende Ergebnisse erzielt und die FAIR-Community weiter aufgebaut werden. Auf dem Weg zur Inbetriebnahme des Beschleunigerzentrums FAIR sind in den nächsten Jahren weitere regelmäßige Experimentierzeiten an den bestehenden und kontinuierlich modernisierten Anlagen geplant. (BP/CP/YL)



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