Renommierte europäische Forschungsförderung an GSI-Physiker vergeben

31.03.2020

Die beiden GSI-Physiker Marco Durante und Gabriel Martínez-Pinedo sind mit dem renommierten Forschungsförderpreis der Europäischen Union für etablierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausgezeichnet worden. Der Europäische Forschungsrat (European Research Council, ERC) gewährt ihnen jeweils einen „ERC Advanced Grant“. Der angesehene Preis unterstreicht die herausragende Qualität der wissenschaftlichen Forschung am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung und dem dort entstehenden künftigen Beschleunigerzentrum FAIR. Ein weiterer „ERC Advanced Grant“ geht an Professorin Beatriz Jurado vom Centre Etudes Nucléaires de Bordeaux Gradignan (CENBG), die, wie in ihrem Antrag vorgelegt, die Forschungseinrichtungen von GSI/FAIR für die Umsetzung des experimentellen Teils ihres Projektes nutzen wird.

Die Grants sind Förderung und Anerkennung gleichermaßen: Sie werden ausschließlich auf Basis der wissenschaftlichen Exzellenz der beantragten Projekte vergeben und richten sich an etablierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Fachbereiche, deren hochinnovative Projekte erheblich über den bisherigen Forschungsstand hinausgehen und neue Forschungsgebiete erschließen. Ausgestattet sind sie mit einer Förderung in Höhe von jeweils maximal 2,5 Millionen Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren.

Marco Durante ist Leiter der GSI-Forschungsabteilung Biophysik und Professor am Fachbereich Physik der TU Darmstadt, Institut für die Physik kondensierter Materie. Er ist weltweit anerkannter Experte auf dem Gebiet der Strahlenbiologie und der medizinischen Physik, vor allem für die Therapie mit Schwerionen und Strahlenschutz im Weltraum. Wichtige wissenschaftliche Fortschritte erreichte er auf dem Gebiet der Biodosimetrie von geladenen Teilchen, der Optimierung der Teilchentherapie und der Abschirmung von schweren Ionen im Weltraum.

In seinem neuen Projekt mit dem Titel „Biomedical Applications of Radioactive ion Beams (BARB)“ will Marco Durante die Tumortherapie mit geladenen Teilchen weiterentwickeln. „Die Teilchentherapie ist stark im Wachstum begriffen und ist möglicherweise die wirksamste und präziseste Strahlentherapietechnik. Allerdings schränken Reichweitenunsicherheit und schlechte Bildführung ihre Anwendungen immer noch ein. Die Verbesserung der Genauigkeit ist der Schlüssel zur Erweiterung der Anwendbarkeit der Teilchentherapie“, erklärte Marco Durante. Dies könnte auch eine bessere Behandlung von kleineren Metastasen oder Tumoren in der Nähe kritischer Strukturen und von kleinen Zielen bei nicht-krebsartigen Krankheiten, wie etwa ventrikuläre Ablationen bei Herzrhythmusstörungen, erlauben.

Die neue Idee besteht darin, den selben Strahl für die Behandlung und für die Bildgebung während der Behandlung zu verwenden. Radioaktive Ionenstrahlen sind dafür das ideale Werkzeug, aber ihre Intensität ist bisher für therapeutische Anwendungen nicht ausreichend. Erst hochmoderne Anlagen wie FAIR und der bei GSI/FAIR bereits laufende Experimentierbetrieb „FAIR-Phase 0“ können solche intensiven Strahlen erzeugen. Marco Durante erläuterte: „Bei der FAIR-Phase 0 werden hochintensive Ionenstrahlen aus kurzlebigen Isotopen von Kohlenstoff- und Sauerstoffkernen verwendet, um eine gleichzeitige Behandlung und Visualisierung zu ermöglichen. Dies kann die Reichweitenunsicherheit deutlich verringern und die Anwendbarkeit der Teilchentherapie weiter vorantreiben.“ Der Strahl wird in der Zielposition mit einem innovativen Gamma-PET-Detektor visualisiert, der von Professorin Katia Parodi an der LMU München, Partner und weiteren Zuwendungsempfänger des BARB-Projekts, gebaut wird.

„BARB ist ein Experiment, das das enorme Potenzial von FAIR zeigt. Es ist eine Zusammenarbeit zwischen der APPA- und der NUSTAR-Säule des FAIR-Projekts“, sagte Marco Durante.

Marco Durante studierte Physik und promovierte an der Universität Federico II in Italien. Seine Postdoc-Stellen führten ihn ans NASA Johnson Space Center in Texas und zum National Institute of Radiological Sciences in Japan. Während seiner Studien spezialisierte er sich auf die Therapie mit geladenen Teilchen, auf kosmische Strahlung, Strahlungszytogenetik und Strahlenbiophysik. Für seine Forschung wurde er vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Galileo-Galilei-Preis der Europäischen Föderation der Organisationen für Medizinische Physik, dem IBA-Europhysik-Preis der Europäischen Physik-Gesellschaft (EPS) und dem von der European Radiation Research Society (ERRS) vergebenen Bacq & Alexander-Preis der Europäischen Gesellschaft für Strahlenforschung.

Mehr zur Forschung von Professor Marco Durante

Gabriel Martínez-Pinedo ist Leiter der GSI-Forschungsabteilung Theorie, Professor am Theoriezentrum des Instituts für Kernphysik (Fachbereich Physik, TU Darmstadt) und ein Hauptforscher des SFB 1245 "Kerne: Von grundlegenden Wechselwirkungen zu Struktur und Sternen". Er ist als Experte auf dem Gebiet der Entstehung chemischer Elemente in Sternen weltweit anerkannt. Er war Co-Leiter der internationalen Kollaboration, die 2010 vorhersagte, dass die Synthese von schweren Elementen in einer Neutronensternverschmelzung zu einem charakteristischen elektromagnetischen Signal namens Kilonova führt. 2017 konnten Weltraum- und Bodenobservatorien tatsächlich das vorhergesagte elektromagnetische Signal nach der Verschmelzung zweier Neutronensterne nachweisen.

In seinem neuen Projekt mit dem Titel „Probing r-process nucleosynthesis through its electromagnetic signatures (KILONOVA)“ wird Gabriel Martínez-Pinedo diese Ansätze weiterentwickeln. Er erläuterte: „Das Projekt zielt darauf ab, eine der grundlegenden Fragen der Physik zu beantworten: Wie und wo werden die schweren Elemente von Eisen bis Uran im r-Prozess hergestellt?“

Die Bestätigung der theoretischen Vorhersagen zur Entstehung schwerer Elemente durch die Beobachtung von Gravitationswellen einer Neutronensternverschmelzung in Verbindung mit charakteristischen elektromagnetischen Signalen hatte 2017 den aufsehenerregenden ersten direkten Hinweis darauf geliefert, dass r-Prozesselemente bei Neutronensternverschmelzungen erzeugt werden. „Es ist zu erwarten, dass künftig weitere Ereignisse dieser Art entdeckt werden. Um diese Möglichkeiten voll auszuschöpfen, ist es von grundlegender Bedeutung, eine verbesserte Beschreibung der exotischen neutronenreichen Kerne, die am r-Prozess beteiligt sind, mit ausgefeilten astrophysikalischen Simulationen zu kombinieren, um eine genaue Vorhersage der Nukleosynthese-Erträge des r-Prozesses und ihrer elektromagnetischen Signale zu ermöglichen“, erklärte Gabriel Martínez-Pinedo. Diese Vorhersagen könnten dann mit Beobachtungen abgeglichen werden. "Hand in Hand mit den einzigartigen experimentellen Fähigkeiten der GSI/FAIR-Anlage stellt dies eine einzigartige Gelegenheit dar, unser Verständnis der r-Prozess-Nukleosynthese entscheidend voranzutreiben.“

Gabriel Martínez-Pinedo studierte Physik und promovierte an der Autonomen Universität Madrid. Er spezialisierte sich auf die Kernstruktur sowie auf die nukleare Astrophysik. Als Postdoc sammelte er Erfahrungen am California Institute of Technology in den USA, hinzu kamen mehrjährige Forschungsaufenthalte an der Aarhus Universität in Dänemark und der Universität Basel in der Schweiz. Seine Forschungen über die Entstehung chemischer Elemente in Sternen erhielten vielfache Anerkennung, unter anderem ist er mit dem „Gustav-Hertz-Preis“ der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) ausgezeichnet worden "für die Entdeckung eines neuen Nukleosyntheseprozesses: das νp-Verfahren".

Mehr zur Forschung von Professor Martínez-Pinedo

Die beiden Forscherkollegen Marco Durante und Gabriel Martínez-Pinedo betonten zudem: „Wir danken dem Europäische Forschungsrat, dass er uns mit seiner Förderung eine großartige Chance gibt und freuen uns auf die Zusammenarbeit in unserem jeweiligen Team. Ziel ist es, mit unseren Projekten über den bisherigen Forschungsstand deutlich hinauszugehen und neue, zukunftsweisende Forschungsgebiete zu erschließen. Das künftige Beschleunigerzentrum FAIR und das bereits existierende Experimentierprogramm sind dabei zentrale Bausteine, die uns Vieles ermöglichen werden."

Der Wissenschaftliche Geschäftsführer von GSI und FAIR, Professor Paolo Giubellino, unterstrich: „Es ist eine fantastische Leistung. Ich freue mich außerordentlich über die Würdigung dieser herausragenden Wissenschaftler, die mit ihren innovativen Projekten und ihrem Engagement wichtige Herausforderungen in der Kernphysik und in der medizinischen Physik angehen. Die Grants belegen die herausragende Qualität der wissenschaftlichen Forschung bei GSI und FAIR. Sie gehen an zwei unserer Vorzeigegebiete: nukleare Astrophysik und biomedizinische Anwendungen der Kernphysik. Zudem unterstreichen sie die herausragenden Forschungsperspektiven, die durch unser FAIR-Phase-0-Programm eröffnet werden. Mit FAIR werden wir die Perspektiven solch wegweisender Forschung weiter ausbauen können und wichtige Pionierleistungen ermöglichen.“

GSI und FAIR sind darüber hinaus hocherfreut über die Verleihung eines weiteren ERC Advanced Grants, der an Professorin Beatriz Jurado vom Centre Etudes Nucléaires de Bordeaux Gradignan (CENBG), Teil des französischen nationalen Zentrums für wissenschaftliche Forschung (French National Centre for Scientific Research CNRS), geht. Der experimentelle Teil des Projekts wird bei GSI/FAIR durchgeführt.

Beatriz Jurado ist durch ihre kernphysikalische Forschung seit langem eng mit GSI und FAIR verbunden. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Niederenergie-Kernphysik, Kernreaktionen und Kernspaltung. Bereits ihre Doktorarbeit, die sie an der Universität von Santiago de Compostela verteidigte, hat sie am Fragment-Separator FRS von GSI umgesetzt, zudem ist sie an der NUSTAR-Kollaboration, einer der vier großen Forschungssäulen von FAIR, als Mitglied in Resource Board beteiligt und war unter anderem als „Visiting Professor“ des ExtreMe Matter Instituts EMMI bei GSI zu Gast.

In ihrem EU-geförderten Projekt mit dem Titel „Nuclear rEaCTions At storage Rings (NECTAR)“ will sie die Messmöglichkeiten in der kernphysikalischen Forschung weiter voranbringen. Ihr Ziel ist die Entwicklung einer neuen Methodik zur indirekten Bestimmung von neutroneninduzierten Querschnitten instabiler Kerne. Diese Querschnitte sind wesentlich für die nukleare Astrophysik, da die meisten schweren Elemente im Universum durch neutroneninduzierte Reaktionen in Sternen erzeugt werden, und auch für kernphysikalische Anwendungen. Ihre Arbeit ist eine experimentelle Spezifizierung zu dem Projekt von Gabriel Martínez-Pinedo.

„Die Messung ist jedoch sehr kompliziert, da sowohl Projektil als auch Target radioaktiv sind. Wir werden dieses Problem umgehen, indem wir die Kerne, die in den neutroneninduzierten Reaktionen gebildet werden, mit radioaktiven Schwerionenstrahlen und stabilen, leichten Targetkernen erzeugen. Wir werden somit die Zerfallswahrscheinlichkeiten für Spaltung, Neutronen- und Gammastrahlenemission der erzeugten Kerne messen können“, erläuterte Beatriz Jurado. Diese Wahrscheinlichkeiten liefern wertvolle Informationen, um Modelle zu belegen, und ermöglichen wesentlich genauere Vorhersagen der gewünschten Neutronenquerschnitte.

Das Projekt von Beatriz Jurado soll in seinem experimentellen Teil an der Beschleunigeranlage auf dem GSI/FAIR-Campus im Rahmen von FAIR-Phase 0 umgesetzt werden, genutzt werden die Speicherringe ESR und CRYRING. Beatriz Jurado erklärte: „Die Speicherringe von GSI/FAIR sind einzigartige Einrichtungen, bei denen umlaufende Ionenstrahlen von herausragender Qualität wiederholt mit ultradünnen, fensterlosen Gasstrahl-Targets interagieren. Wir werden diese außergewöhnlichen Möglichkeiten nutzen, um die Zerfallswahrscheinlichkeiten vieler instabiler Kerne mit unübertroffener Präzision zu messen.“

Professor Paolo Giubellino ist über die Umsetzung des Projektes NECTAR an der GSI/FAIR-Anlage sehr erfreut: „Das zeigt einmal mehr die Attraktivität unserer Forschungseinrichtung für die internationale Forscher-Community und die Qualität unserer Forschungsinfrastrukturen schon während FAIR-Phase 0. Wir freuen uns sehr, dass eine renommierte Wissenschaftlerin wie Beatriz Jurado für ihre experimentelle Forschung zu uns kommen wird. Das ist auch für uns eine große Anerkennung.”

Der Präsident des Europäischen Forschungsrates (ERC), Professor Mauro Ferrari, sagte: „Ich freue mich, eine neue Runde der ERC-Grants bekannt zu geben, die explorative Spitzenforschung unterstützen wird und das Ziel hat, Europa und die Welt besser für die Zukunft zu rüsten. Das ist die Rolle von Pionierforschung. Diese erfahrenen Forschungsstars werden in einem breiten Spektrum von Bereichen neue Wege beschreiten, darunter auch im Bereich der Gesundheit. Ich wünsche ihnen alles Gute bei diesem Vorhaben und möchte in dieser Zeit der Krise die heroische und unschätzbare Arbeit der gesamten wissenschaftlichen Gemeinschaft würdigen." (BP/IP)

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Pressemitteilung des Europäischen Forschungsrates (auf Englisch)



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