In memoriam Eckart Grosse
05.04.2024 |
Mit dem Tod von Professor Dr. Eckart Grosse verliert die Wissenschafts- und Forschungsgemeinschaft einen herausragenden Kernphysiker und engagierten Wissenschaftler. Eckart Grosse wurde am 1. März 1942 in Berlin geboren und ist am 9. Februar 2024 nach langer Krankheit in Paderborn verstorben.
Seine frühe Leidenschaft für die Physik führte Eckart Grosse zum Physikstudium in Bonn und Heidelberg. In der Gruppe von Peter von Brentano am Max-Planck-Institut für Kernphysik erwarb er 1966 sein Diplom mit Messungen von Protonenreaktionen an leichten Kernen und promovierte 1968, ebenfalls unter von Brentano, mit Messungen zur Kernstruktur von 207Pb mittels resonanter inelastischer Protonenstreuung. Es folgten Arbeiten zu isobaren Analogresonanzen und zur Coulombanregung. Danach ging er für zwei Jahre an das Lawrence Berkeley Laboratorium (USA) und befasste sich mit Gammaspektroskopie und dem „back-bending“ Phänomen in der Gruppe von Frank S. Stephens.
Im Jahr 1976 trat Eckart Grosse eine Stelle an der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) an, wo er am Schwerionenlinearbeschleuniger UNILAC Experimente zu kollektiven Kernanregungen durchführte. Weiter Experimente zum Photonennachweis an Beschleunigern am CERN und GANIL (Caen, Frankreich), die die Grundlage seiner Habilitation 1984 bildeten, zeigten seine Faszination für Phänomene mit astrophysikalischem Bezug, insbesondere die im Labor untersuchbare kurzzeitige Bildung heißer und verdichteter Kernmaterie.
Mit dem neuen Schwerionensynchroton SIS18 war in Darmstadt in den 1990er Jahren die Tür zu höheren Strahlenergien und neuen Forschungsthemen geöffnet, die von Eckart Grosse aktiv mitgestaltet wurden. Parallel zum Aufbau des Kaonen-Spektrometers KaoS bei GSI und dem Betrieb des Spektrometers DISTO am Laboratoire National SATURNE II in Saclay, Frankreich formierte er die entsprechenden Kollaborationen und gestaltete durch interessante und vielbeachtete Experimente die sich bildenden Communities der relativistischen Schwerionen- und Hadronenphysik einschließlich der damit verbundenen Theoriegruppen.
Im Jahr 1996 übernahm Eckart Grosse die Leitung des Instituts für Kern- und Hadronenphysik am Forschungszentrum Rossendorf (FZR), dem heutigen Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR). Gleichzeitig wurde er an der Technischen Universität Dresden auf den Lehrstuhl für Kern-, Hadronen- und Strahlungsphysik am Institut für Kern- und Teilchenphysik berufen.
Besonders am Herzen lag ihm die Rossendorfer Strahlungsquelle ELBE, die 2001 in Betrieb genommen wurde. Er erkannte frühzeitig das Potenzial dieses 40 MeV supraleitenden Elektronenbeschleunigers und prägte viele Aspekte des vielfältigen wissenschaftlichen Programms, das dort bis heute verfolgt wird. Neben den klassischen kernphysikalischen Experimentieraufbauten zur Kernresonanzfluoreszenz und einer eigenen Neutronen-Flugzeit-Beamline an ELBE wurden Brücken zu anderen Disziplinen gebaut. So wurde mittels eines Freie-Elektronen-Lasers die ELBE auch zur Infrarot-Strahlungsquelle, und es wurden Experimente in Biophysik und Medizin entwickelt.
Eckart Grosse trieb die multidisziplinäre Ausrichtung sowie die starke wissenschaftliche Vernetzung nicht nur der Rossendorfer Institute miteinander, sondern auch mit anderen Instituten und Hochschulen in Dresden als fruchtbare Bereicherung für das gesamte Forschungszentrum voran. Dies zeigt sich bis heute im Aufblühen des gemeinsamen Forschungszentrums Oncoray. Er schuf und hielt enge Kontakte zur GSI. Unter seiner Leitung baute das FZR u.a. die Drahtkammern für das Dileptonenspektrometer-Experiment HADES und entwickelte schnelle Flugzeitdetektoren für FAIR-Experimente, die am ELBE-Elektronenstrahl getestet wurden. Mit dem PET-Detektor BASTEI leistete er bedeutende Beiträge zur tumorkonformen Bestrahlung in der Schwerionentherapie. Zum Ende seiner Karriere 2007 holte er die „Nuclear Physics in Astrophysics“ Konferenz nach Dresden.
Nach seinem Ruhestand 2007 blieb Eckart Grosse dem HZDR aktiv verbunden, unter anderem durch die Betreuung von Doktoranden an der TU Dresden und die Mitarbeit in europäischen Projekten. In diesen Jahren konzentrierte er sich, befreit von den Verpflichtungen eines Institutsdirektors, wieder auf die Kernstruktur, insbesondere den Einfluss der Triaxialität auf elektromagnetische Stärkefunktionen, photonukleare Reaktionen und Neutroneneinfang. Bis zuletzt publizierte er auf diesem Feld und besuchte noch 2023 die DPG-Frühjahrstagung in Dresden.
Professor Eckart Grosse bleibt uns als vielseitiger Kernphysiker und engagierter Institutsleiter in Erinnerung. Sein Beitrag zur Physik und seine Leidenschaft für die Erforschung der Materie werden uns noch lange begleiten.
Daniel Bemmerer (HZDR), Arnd Junghans (HZDR), Burkhard Kämpfer (HZDR), Peter Senger (GSI), Andreas Wagner (HZDR)