„Symphony of Chances“: Ergebnisse der Artist-in-Science-Residence von Luca Spano

21.11.2022

Der italienische Künstler Luca Spano hat sechs Wochen mit dem GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung zusammengearbeitet, um das Konzept der Unsichtbarkeit in der Physik zu erforschen. Sein Ziel war es, Bilder des Unsichtbaren zu konstruieren, spekulative Fotografien des technologisch Unsichtbaren. Notizen aus der Zukunft.

Spano ist einer von drei Artist-in-Science-Residents, die der Darmstädter Verein „Kultur einer Digitalstadt“ 2022 erstmalig für Künstler*innen aller Disziplinen vergeben hat. Der Atelieraufenthalt auf der Rosenhöhe in Darmstadt ist an die Zusammenarbeit mit jeweils einem renommierten Darmstädter Forschungsinstitut geknüpft: Kooperationspartner sind die European Space Agency (ESA) / European Space Operations Centre (ESOC), das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung und das Hessische Zentrum für Künstliche Intelligenz (hessian.AI). Das internationale Interesse war groß: 158 Künstler*innen aller Disziplinen aus 59 Ländern hatten sich im Frühjahr 2022 auf die drei ausgeschriebenen Stipendien beworben.

Luca Spano zieht eine positive Bilanz: „Ich hatte eine schöne Zeit am Institut. Die Forschung befasst sich mit den grundlegenden Fragen der Menschheit, der Materialität unseres Universums sowie mit den dringendsten philosophischen Ideen, die uns verfolgen. Das Umfeld bei GSI ist sehr kooperativ und aufgeschlossen. Obwohl ich aus einem anderen Forschungsgebiet komme, hat sich das Institut sehr offen gezeigt. Kunst und Wissenschaft liegen sehr nah beieinander und haben viel mehr Berührungspunkte als wir gemeinhin denken. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Brücke zwischen den beiden Feldern nötig ist. Die Disziplinen selbst, die beteiligten Menschen und die Gesellschaft insgesamt wird von dieser Beziehung wirklich profitieren.“

„Mit Luca Spano trafen die Kolleg*innen eine Person, die offen und neugierig ist, und die herausfordernde Fragen gestellt hat, um neue Blickwinkel auf die Forschung einzunehmen. Luca hat Diskussionen und Denkprozesse angestoßen und es zeigte sich, dass die Herangehensweisen in Wissenschaft und Kunst sehr ähnlich sind.“ berichtet Kathrin Göbel, die die Residenz bei GSI/FAIR betreut hat, über die intensive Zeit des Austauschs.

Luca Spanos Arbeit mit GSI ist Teil von „After the Last Image“, einem Projekt über die biologischen und technologischen Grenzen des Sehens und ihre Rolle bei der Konstruktion von Realität. In sechs Wochen tiefgehendem Austausch mit Forschenden von GSI/FAIR und intensiver Arbeit im Atelier entstand das Werk „Symphony of Chances“.

„Ich traf viele Forscher*innen bei GSI, und es war ein Privileg, sehr lange und nachdenkliche Gespräche mit ihnen führen zu können. Bereits nach den ersten Treffen zeichnete sich ein konstantes Muster ab. Nichts ist festgelegt. Alles ist ständig im Wandel. Also sind auch das Universum, unser Planet und wir selbst ständig im Wandel. Alles basiert auf Wahrscheinlichkeiten, oder, wie ich sie gerne nenne, „Chancen“, berichtet Spano. „Das Ziel der Forschung an der GSI ist es, Experimente unter möglichst identischen Bedingungen beliebig oft zu wiederholen, um Theorien zu testen und eine Form standardisierter Gewissheit zu erreichen. Sie stimmen alles ab und kontrollieren es, um die Durchführung zu wiederholen. Ich hatte das Gefühl, vor einem Orchester zu stehen, in dem jeder übte, um eine bestimmte Sinfonie perfekt zu reproduzieren. Aber wie jede Aufführung desselben Musikstücks, unterscheidet sich auch jedes Experiment vom anderen. Es sind Sinfonien, die sich sehr ähneln, aber niemals identisch sind. Und was bewirkt diese Sinfonie? Diese Sinfonie schafft Chancen, Ereignisse zu beobachten, Daten zu sammeln und die Theorie zu testen. Ja, es gibt keine Gewissheit. Ein Experiment basiert darauf, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit etwas mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit passiert. Aber es ist nicht sicher. Wir wissen, dass etwas eine bestimmte Reaktion auslösen kann, aber wir wissen nicht, ob und wann das passieren wird. Es ist eine Symphonie der Chancen.“

Die Residence von Luca Spano endete Anfang September mit einer spektakulären Ausstellung im Atelier auf der Rosenhöhe. Der interdisziplinäre Ansatz der Arbeit hat eine Ökologie von Text, Bildern, skulpturalen Artefakten und Ton geschaffen. Es ist die Folge vieler Gespräche mit Physiker*innen, die Ästhetik der wissenschaftlichen Forschung, die Erforschung der verborgenen Systeme, die unsere Realität prägen.

Ende Oktober endete der erste Zyklus der Artist-in-Science-Residence. Kultur einer Digitalstadt zieht ein durchweg positives Resümee: „Während der je sechswöchigen Residencies von Alvaro Rodriguez Badel (mit hessian.AI), Luca Spano (mit GSI/FAIR) und zuletzt Swaantje Güntzel (mit ESA/ESOC) fand ein intensiver Austausch zwischen den beteiligten Wissenschaftler*innen und Künstler*innen statt, der wohl für alle überraschend positiv verlief. Die beiden vertraute Methodik (Modellieren, Experimentieren, Trial and Error und dabei das Interesse am Scheitern auch hinsichtlich der Frage „is it a bug or a feature“) ermöglichte einen lebendigen und kreativen Austausch. Und auch die Fragen, die man sich in Wissenschaft und Kunst stellt, sind einander ähnlich. Geht es doch in beiden Disziplinen um eine Erweiterung des Wissens in Bereiche, die unerforscht/unergründet sind, mithin (noch) unsichtbar. Und immer darum, dieses Unsichtbare zu ergründen, zu verstehen und sichtbarer zu machen. Indem Künstler*innen und Wissenschaftler*innen sich den „großen Fragen“ gemeinsam widmen und indem ihr Diskurs über Diskussionsrunden und Ausstellungen veröffentlicht wird, wird er der Gesellschaft nicht nur verfügbar, sondern ermöglicht auch die Teilnahme und Teilhabe daran. Das ist wichtig, denn die Kultur der Menschen ist Allgemeingut.“

Die Teilnehmenden und Organisatoren danken allen Aktiven von GSI und FAIR, die sich bei diesem Projekt engagiert haben und Einblicke in ihre Forschung und ihre persönlichen Sichtweisen auf die Forschung gegeben haben: Oliver Keller, der mit Luca Spano an einer Klanginstallation gearbeitet hat, Christian Sürder und Davide Racano, die die Umsetzung eines Werks unterstützt haben, Haik Simon, Joachim Stroth, Bettina Lommel, Francesca Luoni, Daniel Severin, Adrian Rost, Matthias Zander, Helmut Kreiser, Bastii Löher, Magdalena Gorska, Christian Schmidt, Lena Weitz, Gabi Otto, Paolo Giubellino und Kathrin Göbel.

Die „Artist-in-Science-Residence“ wird mit Unterstützung des Kulturfonds Frankfurt RheinMain, der Merck’schen Gesellschaft für Kunst und Wissenschaft, der Wissenschaftsstadt Darmstadt und der Digitalstadt Darmstadt GmbH sowie den beteiligten Instituten realisiert. (KG/BP)

Kultur einer Digitalstadt

Kultur einer Digitalstadt“ (KeD) ist ein interdisziplinäres Projekt, das sich an Kulturschaffende und Kulturinteressierte aus Darmstadt, der umgebenden Region und darüber hinaus wendet. KeD versteht sich als eine Plattform, von der aus unterschiedliche Aspekte der Digitalität, aus künstlerischer und kultureller Perspektive beobachtet, kommentiert und mitgestaltet werden können. Mit der Residence bietet KeD die Möglichkeit, die wissenschaftlichen und technischen Potentiale der Stadt mit der ebenso umfassenden und relevanten Kultur- und Kunsttradition zusammenzuführen. Eine derartige Verknüpfung künstlerischer und wissenschaftlicher Forschung zu gemeinsamen Themen und Fragen kann einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der Welt, des Menschen und seiner Gesellschaft leisten.



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