Spezielle GSI-Expertise: Übersichtstext erörtert aktuellen Stand und Herausforderungen der Schwerionentherapie

22.11.2021

Bei welchen Anwendungen kann die Tumortherapie mit geladenen Teilchen ihr großes Zukunftspotenzial am besten entfalten? In welchen Fällen kann sie am effektivsten eingesetzt werden? Diese Aspekte gehören zu den spannendsten Fragen der Strahlenbiologie und der medizinischen Physik. Eine Gruppe hochkarätiger Experten hat nun den aktuellen Stand der Schwerionentherapie evaluiert, zusammengefasst und einen Übersichtsartikel in der weltweit beachteten Online-Zeitschrift „Nature Reviews“ vorgelegt. Hauptautor des Textes mit dem Titel „Physikalische und biomedizinische Herausforderungen der Krebstherapie mit beschleunigten schweren Ionen“ ist Professor Marco Durante, Leiter der GSI-Abteilung Biophysik.

Es gibt nicht den einen „Königsweg“, vielmehr können verschiedene Partikel und ihre Kombinationen in spezifischen Fällen einen Durchbruch in der Strahlentherapie ermöglichen. So lautet eine Kernaussage des Beitrags, den Professor Durante gemeinsam mit den beiden Radioonkologen Professor Jürgen Debus, Wissenschaftlich-medizinischer Direktor des Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrums (HIT) und Ärztlicher Direktor der Klinik für Radio-Onkologie und Strahlentherapie an der Universität Heidelberg, sowie Professor Jay Stephen Loeffler, Leiter der Strahlenonkologie am Massachusetts General Hospital und der Harvard Medical School in Boston, verfasst hat.

Das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung hatte schon früh neue Wege in der Strahlentherapie beschritten und als Erster in Europa eine Schwerionentherapie gestartet. Diese Behandlungsmethode kann die Anforderungen an eine moderne Strahlentherapie besonders gut erfüllen: Die Strahlentherapie sollte im Eintrittskanal, wo sich Normalgewebe befindet, eine möglichst geringe Toxizität aufweisen und damit das gesundes Gewebe schonen, und in der Zielregion, im Tumor selbst, sehr wirksam zelltötend sein. In dieser Hinsicht haben Ionen, die schwerer als Protonen sind, sowohl physikalische als auch strahlenbiologische Vorteile gegenüber herkömmlichen Röntgenstrahlen. Das unterstreichen auch Professor Durante und seine Kollegen in ihrer Bestandsaufnahme: „Die Therapie mit geladenen Teilchen ist die fortschrittlichste Form der Strahlentherapie. Die meisten Patienten werden mit Protonen behandelt, aber schwere Ionen bieten zusätzliche biologische Vorteile.“

Vor mehr als 20 Jahren hatten bei GSI in Darmstadt die klinischen Studien für eine neuartige Krebstherapie mit beschleunigten Kohlenstoffionen begonnen, vorausgegangen waren gemeinsame Forschungen mit der Radiologischen Klinik und dem Deutschem Krebsforschungszentrum Heidelberg (DKFZ) sowie dem Forschungszentrum Rossendorf. Es war der Startpunkt einer Erfolgsgeschichte, die von der Grundlagenforschung in die breite medizinische Anwendung führte. Mittlerweile gibt es ein Dutzend Kohlenstoff-Ionen-Zentren in Europa und Asien, in denen die Therapie durchgeführt wird. Weitere sind im Bau oder in Planung, darunter das erste in den USA. Die klinischen Ergebnisse sind vielversprechend, wobei künftig auch neue Ionen eingesetzt werden sollen wie 4He, das häufigere der beiden stabilen Isotope von Helium, oder das stabile Sauerstoffisotop 16O.

Die Autoren des Review-Artikels geben nicht nur mit großer Expertise eine Übersicht über das sich schnell entwickelnde Forschungsgebiet der Partikeltherapie und stellen das gesamte weitgefächerte Spektrum von der Physik und Technologie der schweren Ionen über die Radiobiologie bis zur Anwendung neuer Ionen und Technologien dar. Sie benennen auch die ausschlaggebenden Faktoren, die über den künftigen Erfolg der Partikeltherapie entscheiden: Beispielsweise wird über die Kosteneffizienz in der klinischen Gemeinschaft kontrovers diskutiert, aufgrund des größeren Platzbedarfs und der höheren Kosten von Schwerionenanlagen im Vergleich zu Protonentherapiezentren. Die Schwerionentherapie ist teurer als die Röntgentherapie. Auf der anderen Seite legt die Strahlenbiologie nahe, dass Schwerionen beispielsweise äußerst wirksam sein können bei hypoxischen Tumoren, also Tumorgewebe mit einer schlechten Sauerstoffversorgung, und die Wirkung der Immuntherapie verbessern.

Somit ist für die Zukunft der Partikeltherapie noch viel weitere Forschung und Entwicklung notwendig, vor allem im Bereich der Beschleuniger und der Strahlführung, um kleinere und kostengünstigere Geräte zu erreichen, um die Teilchentherapie finanziell erschwinglich zu machen und um neue Behandlungsmodalitäten wie FLASH und radioaktive Ionenstrahlen für die bildgesteuerte Therapie zu nutzen.

Professor Durante und seine Mitautoren weisen abschließend darauf hin, dass die Kombination von leichten und schweren Ionen optimale biologische Wirkungen haben kann, und unterstreichen die Notwendigkeit weiterer vorklinischer Forschung in diesen Bereichen. „Das Potenzial von Schwerionen ist in den Kliniken noch längst nicht voll ausgeschöpft worden.“

Auch die aktuelle Forschung bei GSI und FAIR trägt einen wichtigen Teil zur Zukunft der Teilchentherapie bei, immer mit dem Ziel, das therapeutische Fenster in der Strahlentherapie weiter vergrößern. So war es beispielsweise in der aktuellen Experimentierzeit FAIR-Phase 0 erstmals gelungen, ein Kohlenstoffionen-FLASH-Experiment durchzuführen. Dabei geht es um eine ultrakurze und ultrahoch dosierte Bestrahlung, bei der die Behandlungsdosis in Zeitskalen von unter einer Sekunde abgegeben wird. Ziel ist es, bei der FLASH-Bestrahlung noch schädigungsärmer eine hohe Strahlendosis in kurzer Zeit zu applizieren

Außerdem zielt das aktuelle Projekt BARB von Professor Marco Durante, das mit einem ERC-Advanced-Grant gewürdigt und gefördert wird, darauf ab, den selben Strahl für die Behandlung und für die Bildgebung während der Behandlung zu verwenden und so die Präzision zu steigern. Radioaktive Ionenstrahlen sind dafür das ideale Werkzeug. Erst hochmoderne Anlagen wie FAIR können solche intensiven Strahlen erzeugen. (BP)

Weitere Informationen

Veröffentlichung "Physics and biomedical challenges of cancer therapy with accelerated heavy ions" in Nature Reviews Physics (Englisch)



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