Pionier der Schwerionentherapie verstorben: Trauer um Biophysiker Gerhard Kraft

24.03.2023

Professor Gerhard Kraft, Biophysiker und Pionier der modernen Schwerionentherapie, ist am Samstag, dem 18. März 2023 im Alter von 81 Jahren in Heidelberg verstorben. GSI und FAIR haben die Nachricht mit tiefer Betroffenheit aufgenommen und trauern um einen ihrer renommiertesten Wissenschaftler. Der Initiator und entscheidende Wegbereiter der Tumortherapie mit Ionenstrahlen baute Anfang der 1980er Jahre die biophysikalische Forschungsabteilung bei GSI auf, deren Leiter er von 1981 bis 2008 war. Für seine besonderen Verdienste vor allem in der Krebsforschung und der Schwerionentherapie erhielt der weltweit anerkannte Forscher zahlreiche hochrangige nationale und internationale Auszeichnungen und Ehrungen.

Gerhard Kraft wurde am 29. Oktober 1941 in Heidelberg geboren. Er studierte Physik in Heidelberg und Köln, wo er auch promoviert wurde, und arbeitete zunächst auf den Gebieten Atom- und Kernphysik. Es folgten Forschungsaufenthalte in Straßburg und Berkeley in den USA, wo er die dortigen Aktivitäten zur Ionenstrahltherapie kennengelernt hatte. Im Jahr 1973 kam er zu GSI in die Forschungsabteilung Atomphysik. Ab 1981 leitete er als Gründungsdirektor die neue GSI-Biophysik. Er hatte auch Honorarprofessuren an der Universität Kassel und der TU Darmstadt sowie eine Helmholtz-Professur der Helmholtz-Gemeinschaft inne.

Das Hauptaufgabengebiet von Professor Gerhard Kraft war die Schwerionentherapie und sein Wirken ist untrennbar mit der Initiative zur Etablierung der Schwerionentherapie in Deutschland und Europa verbunden. Seine Vision war es, ein extrem präzises Bestrahlungsverfahren zu entwickeln, bei dem die Vorteile des Ionenstrahls – seine Präzision und hohe biologische Wirkung – voll zum Tragen kommen. Dank seiner Initiative, seiner Weitsicht und Überzeugungskraft ist dieses Vorhaben gelungen. Das Verfahren für die von ihm initiierte Krebstherapie mit Ionenstrahlen wurde bei GSI in Darmstadt von der physikalischen und strahlenbiologischen Grundlagenforschung bis zur klinischen Anwendung geführt. Krebszellen werden dabei effektiv zerstört, während gesundes Gewebe geschont wird.

In gemeinsamer Forschung des GSI Helmholtzzentrums mit den Partnern – der Radiologischen Klinik der Universität Heidelberg, dem Deutschens Krebsforschungszentrum Heidelberg (DKFZ) sowie dem Forschungszentrum Dresden-Rossendorf (heute HZDR) – war die damals neuartige Tumortherapie in einem Pilotprojekt entwickelt und realisiert worden. Vor der ersten Patientenbestrahlung 1997 lagen vier Jahre technischen Aufbaus der Therapie-Einheit und 20 Jahre Grundlagenforschung in Strahlenbiologie und Physik. Der Aufbau des Behandlungsplatzes bei GSI war vor allem eine Gemeinschaftsarbeit der Abteilungen Biophysik, Materialforschung, Experiment-Elektronik, Informationstechnologie und des Beschleunigerbereichs.

Professor Gerhard Kraft kämpfte mit unermüdlichem Einsatz und Durchhaltevermögen für den Aufbau dieses Pilotprojekts. Er erinnerte sich auch Jahre später mit hoher Anerkennung an die Team-Arbeit im Pilotprojekt zurück: „Die meisten haben es damals kaum für möglich gehalten, die hervorragenden biologisch-medizinischen Eigenschaften von Ionenstrahlen technisch für die Therapie nutzbar zu machen. Dies war nur möglich durch das Zusammenwirken vieler Disziplinen wie Kern- und Atomphysik, Strahlenbiologie und -medizin, Beschleunigerphysik, Informatik und noch vielen mehr.“

Von 1997 bis 2008 wurden bei GSI mit großem Erfolg über 440 Patienten mit Tumoren im Kopf- und Halsbereich mit Ionenstrahlen behandelt. Die vielversprechenden Erkenntnisse flossen direkt in die Konstruktion des Heidelberger Ionenstrahl-Therapiezentrums HIT ein. In der Folge hatte sich Professor Gerhard Kraft der weiteren Verbreitung der Schwerionentherapie verschrieben und so beispielsweise den Aufbau ähnlicher Therapie-Anlagen in Marburg und Shanghai begleitet und dabei große Konzerne wie die Rhön-Klinikum AG und Siemens AG beraten. Er war außerdem Co-Autor an den Vorschlägen für die Ionenstrahl-Therapien in Pavia (CNAO) und in Wiener Neustadt (MedAustron).

Der prominente Wissenschaftler hat mit seinem Wirken die Erforschung der biologischen Wirkung von Ionenstrahlen national und international geprägt. Er war in vielen Initiativen an der Entwicklung der Ionentherapie in Europa beteiligt und war Gründungsmitglied der Ionentherapie-Initiative „European Network for Research in Light Ion Hadrontherapy“ (ENLIGHT) am CERN. Außerdem war er im Verein zur Förderung der Tumortherapie mit schweren Ionen e.V. stets ein äußerst versierter Berater. Auf seine Initiative geht auch die Etablierung einer Professur in Strahlenbiophysik an der TU Darmstadt zurück, mit der die Strahlenforschung in Deutschland maßgeblich gestärkt wurde. Zusammen mit der Abteilung Biophysik der GSI konnte damit der Standort Darmstadt zu einem der führenden Zentren der Strahlenforschung ausgebaut werden.

Auch nach seiner Emeritierung arbeitete er weiterhin intensiv in der Forschung und widmete sich dabei vor allem der Erforschung der therapeutischen Wirkung von Radon. Von dessen positiver Wirkung war er als Patient mit einer schweren chronischen Erkrankung nach vielen Radon-Kuren überzeugt. Zusammen mit seinen Kolleg*innen und Studierenden stellte er auch grundlegende Untersuchungen zum Transport und Anlagerung von Radon in Organismen an und brachte damit den Strahlenschutz zu Radon voran, ein Thema, das zunehmend an Bedeutung gewinnt. Auch hier hat sich sein untrüglicher Instinkt für wichtige Technologien und Forschungsthemen herausgestellt.

Für sein Schaffen erhielt er zahlreiche Preise, darunter den Erwin-Schrödinger-Preis der Helmholtz-Gemeinschaft 1999 und das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse 2008. Außerdem wurde ihm 2006 von der Europäischen Strahlenforschungsgesellschaft ERRS der renommierte Bacq- und Alexander-Preis verliehen, zudem erhielt er den Otto-Hahn-Preis der Stadt Frankfurt und den Ulrich-Hagen-Preis der Deutschen Gesellschaft für Biologische Strahlenforschung.

Professor Gerhard Kraft hat in seiner Abteilung eine vorbildliche interdisziplinäre Forschungskultur geschaffen, die immer einen ausgeglichenen Anteil an Forschern und Forscherinnen aufwies und heute immer noch sehr erfolgreich ist. Er widmete sich auch unermüdlich der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses und betreute deutlich mehr als hundert Abschlussarbeiten.

Mit seiner zukunftsweisenden Forschung zum Nutzen der Gesellschaft hat Professor Krafts Wirken Spuren hinterlassen, die sogar sichtbar bis ins tägliche Leben der Darmstädter Bevölkerung hineinreichen. So ist in den Kirchenfenstern der evangelischen Kirche im Stadtteil Darmstadt-Wixhausen die sogenannte Bragg-Kurve verewigt, die Grundlage für die Tumortherapie mit schweren Ionen; sie zeigt die Dosisverteilung der Schwerionentherapie.

Der Tod von Professor Gerhard Kraft bedeutet den Verlust einer Leitfigur für die Wissenschaft. GSI und FAIR werden Professor Gerhard Kraft stets in bester Erinnerung behalten. Seiner Familie gilt unser tiefes Mitgefühl. (BP)



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