Die Rolle von Ge-64 in der rp-Nukleosynthese als Antrieb kosmischer Röntgenausbrüche

17.08.2023

Diese News basiert auf einer Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Kernphysik, Heidelberg.

Neue kernphysikalische Daten ermöglichen ein besseres Verständnis für die Eigenschaften von Neutronensternen. Hochpräzise Messungen von Kernmassen belegen Germanium-64 als Wartepunkt-Kern in der Nukleosynthese durch schnellen Protoneneinfang und bilden die Grundlage für die Modellierung von Röntgenausbrüchen auf Neutronensternen als Teil von Doppelsternsystemen. Die Experimente wurden von einem internationalen Team unter Mitwirkung von Wissenschaftler*innen des Max-Planck-Institutus für Kernphysik (MPIK) in Heidelberg sowie des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung unter Nutzung der Heavy Ion Research Facility des Institut of Modern Physics (IMP) der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Lanzhou (China) durchgeführt.

Neutronensterne gehören zu den bizarrsten Objekten, die Astronomen bekannt sind. Bei einem Durchmesser von nur etwa zehn bis zwölf Kilometern gehören sie zu den dichtesten Objekten im Universum und haben eine Masse, die deutlich über der Sonnenmasse liegt. Außerdem sind sie extrem heiß und können die stärksten bekannten Magnetfelder produzieren. Die Physik dieser extremen Objekte ist daher für Wissenschaftler weltweit von großem Interesse.

Etwa fünf Prozent aller bekannten Neutronensterne sind Teil von Doppelsternsystemen, bei denen der Neutronenstern durch die Schwerkraft an einen anderen, oft weniger entwickelten Stern gebunden ist. In solchen Systemen werden häufig Ausbrüche von Röntgenstrahlung beobachtet.

Röntgenausbrüche vom Typ I sind thermonukleare Explosionen auf der Oberfläche eines Neutronensterns. Brennstoff ist wasserstoff- und heliumreiche Materie, die über Stunden bis Tage von einem begleitenden Riesenstern angesammelt wird. Sobald Temperatur und -Dichte zur Zündung erreicht sind, startet eine thermonukleare Kettenreaktion, die zu einem hellen Röntgenausbruch von etwa zehn bis 100 Sekunden Dauer führt. Der Ausbruch wird durch eine Abfolge von Kernreaktionen angetrieben, die als Nukleosynthese durch schnellen Protoneneinfang (rapid proton capture, rp-Prozess) bezeichnet wird.

Der rp-Prozess besteht aus einer Abfolge von Protoneneinfang und Betazerfall, wobei hochenergetische Photonen emittiert werden. Sogenannte Wartepunktkerne (WP-Kerne) spielen in diesem Prozess eine entscheidende Rolle, wie sich der Materiefluss und damit der Röntgenfluss einstellt, der durch den Neutronensternausbruch erzeugt wird. Es handelt sich um Kerne, bei denen der schnelle Protoneneinfang energetisch nicht weiter fortschreiten kann und somit der Prozess ins Stocken gerät, bis ein viel langsamerer β+-Zerfall eine Umgehung ermöglicht. Ein sequentieller Einfang von zwei Protonen kann jedoch in einigen Fällen den Wartepunkt überbrücken. Die Reaktionswahrscheinlichkeiten hängen von der Bindungsenergie der Protonen ab, die sich direkt aus den Massen der beteiligten Kerne ableiten lassen. Daher ist eine genaue Kenntnis der Massen der beteiligten Kerne für das Verständnis der Mikrophysik hinter den Röntgenausbrüchen entscheidend.

Gezielte Sensitivitätsstudien konnten zeigen, dass die noch unbekannten Massen für Kerne um den WP-Kern 64Ge (Z = 32) derzeit eine große Unsicherheit bei der Modellierung der Nukleosynthese des rp-Prozesses darstellen. Eine Gruppe von Wissenschaftler*innen hat nun mit bisher unerreichter Auflösung alle verbleibenden Massen gemessen, die zur Bestimmung des Reaktionsflusses über 64Ge benötigt werden – und dabei überraschende Erkenntnisse gewonnen.

Die untersuchten Kerne, nämlich 63Ge, 64,65As und 66,67Se, sind extrem neutronenarm und haben sehr kurze Halbwertszeiten, die von 54(4) Millisenkunden für 66Se bis 153,6(1,1) Millisekunden für 63Ge reichen. Solche kurzlebigen Nuklide lassen sich nur in einer spezialisierten Anlage für radioaktive Ionenstrahlen herstellen und erfordern ultraschnelle und – aufgrund der geringen Produktionsmengen – auch ultraempfindliche und effiziente Messverfahren. Es ist zu betonen, dass die Produktionsrate der 64As-Kerne weniger als ein Ion pro Tag betrug.

Das vorliegende Experiment wurde in der Heavy Ion Research Facility in Lanzhou (HIRFL) am Institute of Modern Physics der Chinesischen Akademie der Wissenschaften durchgeführt.

Eine neuartige Methode zum effizienten Nachweis von kurzlebigen Kernen kam erstmals im CSRe zum Einsatz. Einer ursprünglich für den Collector Ring von FAIR vorgeschlagenen Idee folgend, entwickelten die Wissenschaftler*innen eine wirksame Methode, um die Unsicherheiten bei der Umlaufzeit der Ionen im CSRe-Speicherring der HIRFL-Anlage zu kompensieren, die durch deren Geschwindigkeitsdifferenzen verursacht werden.

„Wir haben beim Aufbau der Nachweisdetektoren geholfen und sind tief involviert in der physikalischen Interpretation der Daten“, berichtet Professor Klaus Blaum, Direktor der Abteilung für gespeicherte und gekühlte Ionen am Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK) in Heidelberg. „Die hier gezeigte Möglichkeit, Massen solch kurzlebiger Spezies mit verschwindend geringen Produktionsraten zu messen, ist ein großer Erfolg“, beschreibt Professor Yuri Litvinov, Leiter der ASTRUm-Gruppe bei GSI in Darmstadt, die Bedeutung der neuen Ergebnisse. „Zuvor konnten wir die Massen von kurzlebigen Kernen nicht mit dieser Genauigkeit messen oder in manchen Fällen gar nicht bestimmen.“

Mit dieser neuartigen Methode wurden die Massen der Kerne 64As und 66Se zum ersten Mal bestimmt, und Werte der Massen von 63Ge, 65As und 67Se wurden deutlich verbessert. Mit diesen neu gewonnenen Daten simulierten die Wissenschaftler*innen einen Röntgenausbruch, wobei sich dafür eine größere Spitzenleuchtkraft ergab als bisher angenommen. Das bedeutet, dass diese astronomischen Objekte weiter entfernt sein müssen als erwartet, um die von Teleskopen erfasste Helligkeit zu erreichen. Im Fall des bekannten Röntgen-Doppelsternsystems GS 1826-24 soll dieser etwa 1300 Lichtjahre weiter von unserem Sonnensystem entfernt sein als bisher angenommen. Darüber hinaus haben die neuen Ergebnisse Auswirkungen auf die Aufheiz- und Abkühlungsraten des Neutronensterns und aktualisieren die Angaben für seine Dichte.

Alle relevanten und für die Modellierung des rp-Prozesses durch 64Ge benötigten Massen sind nun gemessen. Der nächste Schritt besteht darin, die Massen um die nächsten beiden kritischen WP-Kerne 68Se und 72Kr genau zu bestimmen. „Wir sind zuversichtlich, dass diese neu entwickelte Methode zur genauen Bestimmung der Massen solch kurzlebiger Kerne uns helfen wird, diese faszinierenden astronomischen Objekte und die zugrunde liegende Physik noch besser zu verstehen“, fasst Klaus Blaum die Ergebnisse zusammen. (MPIK/CP)

Weitere Informationen

Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Kernphysik, Heidelberg

Veröffentlichung im Fachmagazin "Nature"

Gruppe 'ASTRUm - Astrophyics with Stored Highy Charged Radionucleides' von Professor Yuri Litvinov



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